Neues

aus der Kirchengemeinde

Türchen 16 – Adventskalender 2020

 

Hier klicken, um das Türchen zu öffnen.

Die Schafe und der verlorene Hirte

 

Die Sonne ging auf und alles war wie immer. Dachten die Schafe. Zuerst. Aber dann fiel ihnen auf, dass jemand fehlte. Ihr Hirte war nicht da. Er saß nicht auf dem kleinen Felsen und genoss die Morgensonne. Er saß nicht unter dem Baum im Schatten. Er ging nicht durch ihre Reihen um zu schauen, ob sie noch alle vollzählig waren.

„Wir müssen ihn suchen“, blökte der Leithammel und alle stimmten zu. Jedenfalls alle, die nicht gerade mit Gras fressen beschäftigt waren, was immerhin fast die Hälfte der Herde war. „Den Hirten sucht man nicht, der Hirte sucht uns!“ Ein kleines Lamm fasste in diesem Satz seine ganze bisherige Lebenserfahrung zusammen. Einige der anderen Schafe nickten zustimmend. „Dann ist es heute eben das erste Mal, dass ein Hirte gesucht wird. Wir suchen alle zusammen, damit niemand alleine bleibt.“ Alle bewunderten den Mut und die Klugheit ihres Leithammels und zogen los.

Sie suchten bei dem kleinen Unterstand, den er bei Regen so mochte. Sie suchten am Waldrand, wo die Brombeeren wuchsen .Sie suchten am Lagerfeuerplatz, wo er abends sein Essen kochte. Aber sie fanden ihn nicht. Schließlich liefen sie ein Stück des Weges zurück, über den er sie zum Weideplatz geführt hatte. Da stand an einer Wegkreuzung ein altes Holzkreuz aus dicken Eichenbalken. Und dort saß ihr Hirte, den Blick auf das Kreuz gerichtet. Die Ankunft seiner Herde bemerkte er nicht. Eine Weile saß er schweigend da und die Schafe verteilten sich um ihn herum. Einige fraßen Gras und vollendeten ihr Frühstück. Andere waren froh, dass die Suche ein Ende hatte und legten sich neben ihren Hirten.

Dieser fing schließlich an zu sprechen und klagte: „Herr, es ist so ungerecht, dass ich nur ein einfacher Hirte bin. David war Hirte und wurde zum König, den Hirten in Bethlehem erschien ein Engel und sie verkündeten die frohe Botschaft selbst du hast dich einen Hirten genannt und bist doch Gottes Sohn. Warum geschieht mir kein Wunder? Warum hüte ich bloß die Schafe? Warum schickst du mir keinen Engel und lässt mich etwas Besonderes verkünden?“ Die Schafe wunderten sich. Wer sollte ihm hier schon antworten? Was für ein Wunder? Ein paar blökten aufmunternd zu ihm rüber, aber er schien sie nicht zu hören.

Den ganzen Tag saß ihr Hirte da, sah und hörte sie nicht und klagte ein Leid, das sie nicht verstanden. Es war doch sonst immer so: Er brachte sie zu neuen Weiden, wenn die alten leergefressen waren, er machte nachts ein Feuer und passte auf, dass ihnen kein Raubtier zu nahe kam, er suchte sie, wenn sie der Meinung gewesen waren, dass die leckersten Kräuter außerhalb des Weideplatzes wuchsen. Manchmal spielte er auf seiner Flöte und das fanden sie schön.

Warum war er denn jetzt so ärgerlich? Er machte doch alles richtig. Die Schafe beschlossen, dass die Wiese um das Kreuz für heute ihre Weide sein sollte und fraßen sich erst einmal satt. Dann schliefen sie eine Weile. Dann fraßen sie wieder etwas und schließlich wurde es Abend. Ihr Hirte saß immer noch vor dem Kreuz und sah sehr müde aus. Da bildeten die Schafe einen Kreis um ihn, ganz nahe, um ihn zu wärmen und schliefen ein.

Morgens, ganz früh mit den ersten Sonnenstrahlen, wachte der Hirte auf und sah sich zum ersten Mal seit er hier war bewusst um. Er sah die Schafe, die um ihn herum lagen. Einige wurden gerade wach und sahen ihn neugierig an. Die Sonne schien durch den Frühnebel und ihre Strahlen verwandelten die Tautropfen auf der Wiese in ein funkelndes Sternenmeer. Und da wusste er auf einmal, dass Gott ihm keine Antwort schuldig war. Es brauchte gar keine Engel und Wunder um ihn zu etwas Besonderem zu machen. Seine Herde hatte ihn gesucht. Weil sie ihn so wollte, wie er eben war. Sie hatten ihn gesucht, obwohl er sie allein gelassen hatte. Weil er trotz dieses einen Fehlers ein guter Hirte war. Und er fühlte sich angenommen. Von seiner Herde und von dem Gott, dem er gestern noch seine Unzufriedenheit geklagt hatte.

Kommentare sind geschlossen.